Nützlich oder nutzlos

Wie vieles im Leben sieht es jeder etwas anders, was nützlich und was unnütz ist. Wir bemessen eine Sache oder einen Menschen gern nach dem Nutzen. Oft meint einer, der ständig umtreibt, dass er nützlich sei, dabei kann er mehr schaden als nutzen. Und so kann man aus vielen Betrachtungen und Geschichten lernen und für sich selbst etwas mitnehmen, wie diese Geschichte zeigt.

Im Taoismus, einer im dritten und vierten Jahrhundert vor Christus entstandenen Richtung der chinesischen Philosophie, erzählt man sich die Geschichte über einen alten Baum. Dieser Baum an einem viel begangenen Weg im Gebirge war alt und krumm. Die Menschen, die an ihm vorbei kamen, warfen meist nur einen kurzen Blick auf die außerordentlich knorrigen und gewundenen Äste. Sie dachten bei sich: Was für ein unnützer Baum. Er ist so krumm und verwachsen, den kann keiner gebrauchen.

Eines Tages kamen ein weiser Philosoph und sein Schüler vorbei. Der Weise hielt inne, kaum war er des Baumes gewahr worden. Er setzte sich auf einen Stein und betrachtete den Baum. Er ließ schweigend den Blick langsam über die vielen gewundenen Äste gleiten, als wolle er deren Form in sich aufsaugen. Auch der Schüler schaute den Baum aufmerksam an, aber er konnte nichts Besonderes an ihm entdecken.
Er fragte vielmehr: Was kann man mit dem Baum schon anfangen? Er taugt weder für Möbel noch für Dachbalken, ja nicht einmal einen Wanderstab kann man aus den Zweigen schnitzen, so verdreht sind sie. Und so fragte der Schüler seinen Meister: Warum betrachtest du diesen Baum, als wäre er der kostbarste Baum der ganzen Welt?
Der Meister antwortete: Er ist kostbar. Weil keiner ihn je angetastet, ja Zweige von ihm abgeschnitten oder die Rinde entfernt hat, weil er allen so absolut nutzlos erschien, bringt er, so verwachsen und gewunden wie er ist, wie kein anderer Baum sein eigentliches Wesen zum Ausdruck.

Bild: privat