Zehn Gebote sind es, die Gott seinem Volk durch Mose mit auf den Weg gab. Bis heute bilden sie eine Art Grundgesetz für das friedliche Zusammenleben von Menschen. Wenn man diese Zehn Gebote aufmerksam liest, fällt einem auf:
Neun davon gelten ohne Unterschied für alle, Große wie Kleine, Alte wie Junge. Nur ein Gebot richtet sich an einen bestimmten Personenkreis, nämlich an die Kinder. Oder besser gesagt: an die, die zu allen Zeiten die neue Generation bilden. Dieses Gebot lautet: „Du sollst Vater und Mutter ehren.“
Ich finde das sehr interessant. Offenbar sind es die Alten, die in Schutz genommen werden müssen. Für die Bibel sind die Schwächsten die alten Menschen, also die, deren Schicksal es ist, allmählich von den Jüngeren verdrängt zu werden. Die Kräfte der Kinder nehmen immer weiter zu, aber die Kräfte der Alten nehmen unaufhörlich ab: Ist es da so falsch, ihnen ein besonderes Gebot zu widmen?
Vater und Mutter ehren – wie das aussehen kann, habe ich neulich auf Sri Lanka erlebt. Dort kümmert sich eine Gruppe von Benediktinerinnen um alte Menschen. Ich bin dreizehn jungen, aufgeweckten Schwestern begegnet, denen es ganz offensichtlich Freude macht, fünfzig alte Männer und Frauen zu betreuen, nicht nur Christen, auch Muslime und Buddhisten. Ich habe mich mit einigen der alten Mütterchen unterhalten – was hatten sie nicht alles durchgemacht in ihrem Leben! Jede hatte mehrere Kinder großgezogen. Oft wussten sie nicht, was sie ihnen am nächsten Tag zu essen geben sollten. Diese Alten haben es wahrhaftig verdient, dass die Schwestern ihnen einen würdigen Lebensabend bereiten. Dankbar und überglücklich nahmen sie deren Hilfe an.
Auch unser Ordensgründer der Benedikt schreibt in seiner Klosteregel, die Jungen sollen die Alten ehren. Aber er setzt noch einen Satz hinzu: Die Alten sollen die Jungen lieben. Hier auf Sri Lanka habe ich erlebt, wie schön es ist, wenn sich alle danach richten.
Diesen Artikel von Notker Wolf, war oberster Mönch der Benediktiner mit Amtssitz in Rom, las ich in einer Frauenzeitschrift und er hat mir sehr gut gefallen.
Renate Loos
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