Zum Glück sieht man am Martinstag doch noch Kinder mit Lampions, die uns an diesen Tag erinnern – wenngleich immer weniger. Eigentlich schade, denn von St. Martin können unsere Jüngsten schon in ihrer frühesten Kindheit etwas lernen, was vielen Erwachsenen oft schon lange abhanden gekommen ist – geben statt nehmen. Und macht man aus dem Martinstag auch nur noch ein Lampionfest oder Lichterfest, dann ist der Sinn des eigentlichen Festes vollends dahin.
Natürlich ranken sich viele Legenden um den römischen Soldaten und späteren Bischof Martin. Das ist ganz natürlich, wenn die Geschichten aus einer Zeit stammen, in denen kaum jemand lesen und schreiben konnte und alles nur mündlich weitergegeben wurde. Merkwürdigerweise hängen wir aber oft viel mehr an diesen alten Geschichten als an den modernen unserer Zeit.
In unseren Zeiten, in denen für Viele anscheinend nehmen seliger macht denn geben, kann auch für die Kleinen der Heilige Martin einer sein, der aus seiner hohen Position heraus auch das Leid der Armen und kleinen Leute sah und gab. Und was mindestens so wichtig ist: Man muss nicht gleich sein ganzes Hab und Gut verschenken, um ein guter Mensch zu sein, nein, ein Teil von dem was wir haben ist das richtige Maß – nämlich der halbe Mantel, nicht der ganze. Das ist auch der Kern der Martins-Botschaft, keine Umschichtung des Ganzen, die gerechte Verteilung, dass alle ein menschenwürdiges Dasein haben.
Alle Jahre wieder um diese Zeit erreicht uns eine die Flut der Bettelbriefe: Moment mal, ist denn schon wieder bald Weihnachten? Vereine und Gesellschaften, von denen man sonst nie etwas hört, stellen sich plötzlich als Bittsteller der Notleidenden dar. Die geben ein Geld für Porto und Überweisungen aus, dass man gerade staunen muss. Das Geld wäre anderweitig auch besser angelegt.
Einen Vorteil haben aber diese Aktionen, sie erinnern uns tatsächlich daran, dass die Not nicht weniger, leider sogar größer geworden ist, egal ob durch Krieg, Unwetter oder durch die Flüchtlingsströme. Deshalb ist ein Spende für die notleidenden Menschen sicherlich so etwas wie der halbe Mantel des Martin. Nur müssen wir hier sehr aufpassen und die Streu vom Weizen trennen. Nicht jeder von Mitleid triefende Brief ist gerechtfertigt. Aber das wissen Sie ja sicherlich sowieso.
Man wirft den Deutschen oft vor, sie spenden zwar viel, geben aber dennoch nur von ihrem Überfluss ab. Ok, mag sein. Ich sehe das pragmatisch. Wenn ich jetzt nicht gleich alles gebe, kann ich in den nächsten Jahren auch noch etwas geben.